
Druidentürme…
Stehe um 6 auf, da ich heute nach Gien fahre, 55km, die ich bei einigermassen annehmbaren Temperaturen zurücklegen möchte. Beat liegt noch in seinen Träumen als ich um halb sieben zum Petit Déjeuner gehe. Die Bar schon offen und voller Leute, die ihren Kaffee trinken und Zeitung oder Zigaretten kaufen bevor sie auf den Zug zur Arbeit gehen. Die frischen Croissants und die Baguettes werden gerade vom Bäcker gebracht.
Um viertel nach sieben fahr ich ab. Mit Beat hab ich gestern vereinbart, dass jeder seines Weges fährt, der eine durch eigene Körperkraft, der andere mit Hilfe von ca. 80 Pferdekräften ;-)… und wir uns dann in Gien treffen. Da er weitere Kreise zieht werde ich schon mal ein Hotel suchen.
Und wieder geniesse ich den morgendlich kühlen Fahrtwind, das Licht in den noch verschlafenen Gassen von Cosne. Die Leute auf dem Weg zur Arbeit. Die Brücke über die Loire im Sonnenlicht. Weiter auf dem Damm der Loire entlang. Bis jetzt ist’s mir noch nie langweilig erschienen… jedes Mal von neuem geniesse ich den Luxus meiner Freiheit, so viel Zeit zu haben und einfach das Gleiten durch diese wundervolle liebliche Landschaft.
Bleibe kurz bei einer Schnecke hängen, sie lässt sich gerne fotografieren und macht keinerlei Bemerkungen, dass es sie stört ;-)…
Von weitem schon sehe ich die zwei Türme von der „Centrale électrique de Belleville“, einem Atomkraftwerk. Schliesslich bin ich an einem der grössten Flüsse Frankreichs und Frankreich das Land in Westeuropa mit der grössten Dichte von AKW’s. Wenn ich jetzt von einem anderen Planeten käme, keine Ahnung von Atomkraft hätte, nicht wüsste was ein AKW ist, aber mir irgendwoher schon etwas Wissen über die Geschichte dieser seltsamen Welt angeeignet hätte… könnte ich diese zwei Türme fast als etwas Sakrales betrachten… zwei Driudentürme… oder sonst eine heilige Stätte der Bewohner dieses Planeten. Vielleicht werden hier die Wolken gemacht oder man gewinnt Wasser aus den Wolken, die in diese zwei hohen Türme gesogen werden… mannfrau liest, ich hab viel Zeit, was da alles für Ideen durch den Kopf gehen.
Für ein kurzes Stück geht’s nochmal dem Kanal entlang, immer der Parallelkanal zur Loire. Kann’s nicht lassen meine Fotomanie an den Nieten einer Brücke auszuleben… faszniert einfach…
Vor Châtillon-sur-Loire fahr ich durch eine parkähnliche Anlage der Loire entlang. Früher verlief der Kanal unterhalb des heutigen Kanals und in Châtillon kreuzte der Kanal die Loire, die Schiffe wurden mit Seilzügen quer durch die Loire gezogen. Da das nur bei genügendem Wasserstand der Loire möglich war, warteten hier oft hunderte von Schiffen auf genügend Wasser, um durch die Loire gezogen zu werde. Machmal dann bis zu 80 Kähnen im Tag. Lässt mihi einfach nicht los diese Technik.
Rolle durch Châtillon, finde trotz Montag eine offene Bäckerei und kauf mir trotz bereits genossenem Frühstück ein Pain au Chôcolat ;-)… in einem liebevoll gepflegten kleinen Restaurant krieg ich einen Café au Lait.
Inzwischen halb elf ist’s jetzt schon 32 Grad und der Schweiss läuft in Strömen… weiter über die Brücke und dann die ganzen 5 Kilometer bis Briare durch eine wunderbar schattige Allee von Bäumen, machnchmal riesege alte Pappeln… auf dem Damm, der entlang des alten Kanals gebaut wurde… einfach Ideal bei dieser Hitze!
Der heutige Kanal liegt höher und überquert bei Briare auf einer 662m langen Brücke die Loire, ist einfach überwältigend was da gebaut wurde und das erst um 1895, die Kanäle waren also noch im 20. Jahrhundert in gebrauch und wichtige Transportwege für Massengüter. In Braire trink ich gleich noch eine Cola bei 35 Grad im Schatten!!! und kauf mir zusätzlich noch eine Flasch kaltes Wasser.
Die letzten 11 km bis Giens machen mir sorgen, gemäss Karte geht’s ein Stück entfernt von der Loire durch Felder… bei dieser Hitze… aber die Velowegmacher haben an alles gedacht. Meist entlang von Waldrändern oder durch kleine Wäldchen führt der Weg auf Feldwegen über St-Brisson-sur-Loire und St-Martin-sur-Ocre nach Gien. Erst ganz zum Schluss führt der Weg noch durch Einfamilienhausquartiere und durch Weizenfelder. Die Hitze ist wirklich erdrückend… 39 Grad!! Trotzdem erreiche ich bei sehr guter Laune (Stimmung 10-11!) Gien.
Rolle wie immer zuerst mal durch das kleine Städtchen. Erst fällt’s mir gar nicht auf, aber nach einer Weile merke ich, dass die Häuser nicht alt sind. Das Städtchen wurde bei einem Liftangriff der Deutschen fast vollständig zerstört. Und 1944 gab’s dann noch den Rest bei Bombenangriffen der Allierten gegen die Deutschen. Nach dem Krieg wurde der Ort dann unter Berücksichtigung der alten Gebäudestrukturen- und Volumen wieder aufgebaut.
Übrgens wurde im ganzen Gebiet der Loire im zweiten Weltkrieg heftig gekämpf. Anfangs, 1940 eines der Rückzugsgebiete der Résistance, dann 1944 sassen offenbar die Deutschen noch lange im Loiretal fest und wurden von den Allierten bekämpft. Entsprechend natürlich in jedem Ort die für Frankreich gewohnten Gedenktafeln für die gefallenen Kämpfer.
Kein Hotel gefunden beim Durchrollen, vielleicht war ich zu abgelenkt, fahr ich gleich zum Office de Tourisme und lass mich von (halt wie immer) reizenden jungen Frauen beraten. Sie geben sich alle Mühe hier, um den Touristen zu gefallen. Sie reservieren mir ein Zimmer im Sanotel, einem modernen Gebäude auf der anderen Seite des Flusses, kein Charme aber das Zimmer dafür schön gross und mit Sicht auf die Loire und das gegnüberliegende Gien mit Schloss.
Beat war inzwischen auf meine Empfehlung hin in La Charité, meinem vorgestrigen Übernachtungsort (Stadt der Bücher und Worte) und ist natürlich nach Sancerre hochgefahren mit seinen 80 Pferdestärken, wovor ich natürlich wegen Hitze zurückgeschreckt war…
Nachmittag verplempert…
Am späteren Nachmittag, nachdem Beat auch eingetroffen ist, machen wir uns dann zu Fuss über die alte Loirebrücke auf nach Gien. Trinken am Ufer der Loire unter Bäumen unseren Apéritif und reden lange über unsere Erlebnisse ect ect ect ect… Übrigens eine Seltenheit, dass man an der Loire sitzen kann, Bar’s oder Restaurants gibt es eigentlich nicht an der Loire. Es ist seltsam, wie wenn sich der jahrhundertalte Respekt vor dem Fluss gehalten hat…
Schliesslich um neun machen wir uns auf um etwas zu essen und finden… fast alles geschlossen! Beat ist erstaunt, er hatte die Vorstellung mitgebracht, dass die Franzosen abends draussen sitzen bis spät in die Nacht. Aber hier mitten in Zentralfrankreich in irgendeinem Dörfchen oder Städtchen schliesst wirklich immer alles früh, so um acht, meist findet mannfrau noch mit Glück etwas offenes. Die Franzosen selber essen offenbar am Mittag, dann gibt’s auch die wirklich günstigen aber guten „Formule“, Menüs, meist mit zwei oder drei Gängen für 11, 12 Euros…
Aber wir finden doch noch was… essen gut… mit den Salaten fahr ich wirklich gut und günstig und bei diesen Temperaturen sind sie genau das Richtige.
Lieber Jörg
Es fällt nicht bloss dir auf, sondern auch dem geneigten Leser (dito. der Leserin): die vielen reizenden Fröileins in den Office de Tourisme sind keine französische Erscheinung, das hat viel mehr damit zu tun, dass wir mittlerweile in einem Alter sind, in dem es (fast) nur noch jüngere Frauen gibt…!